Während langen Winterabenden macht der gemeine Radfahrer seine Planung für das kommende Jahr, so auch ich im letzten Winter. Und bei all den möglichen Angeboten konnte ich mir als Highlight des Jahres Belchen satt gut vorstellen. Aber wie trainiert man auf solch eine Tour hin. Bereits im März absolvierte ich deshalb, als Trainingsfahrten den Trirhena 1000er. In der gleichen Gegend, also konnte ich mich mit dem Terrain vertraut machen. Bei frühlingshaftem Wetter mit zwei Packtaschen, noch in Wintermontur, teilte ich mir die Strecke, mit 14500 hm in sechs Etappen auf. Und es lief prima, zwar schon anspruchsvoll, aber ich dachte, dass ich weiß, was auf mich zukommt.
So gerüstet meldete ich uns an, wir konnten allerdings den geplanten Termin, wegen Unwetterwarnungen, nicht wahrnehmen. Nun begann die Suche nach einem weiteren Fenster für solch ein Unternehmen, doch der Wetterbericht versprach stets mindestens einen Tag Regen.
Also starteten wir bei solchem am berühmten Martinstor, was für mich bei dem Trubel bereits die erste Herausforderung war. Laut Radio sollte der Regen am Nachmittag nachlassen und die Sonne hervorkommen. Jedoch er hielt sich, über Schauinsland - ohne Aussicht, der Belchen in dichten Wolken verhüllt, Tiergrüble nass. Ich kannte ja die Umgebung von der Trirhena Strecke und habe Alain immer wieder vorgeschwärmt wie faszinierend es sei, hoch oben auf dem Belchenflue zu stehen und in alle Richtungen blicken zu können. Diesmal sollte es nicht so sein. Es wurde bereits dunkel und so versteckten sich vor uns auch die nächsten Erhebungen.
Richtung Schweiz wurde unser andauernder Nieselregen zu einem Starkregen und der Anstieg nach Eptingen zwang mich 3 Mal aus dem Sattel. Mittlerweile wirkte die Straße wie ein Bachlauf und das Wasser floss in sanften Wellen unter meinen Schuhen durch. Große Freude kam dann erst während der Abfahrt auf, die sich auch in einen Bach verwandelte. Mit nassen Fingern die 23 % herunterzubremsen war nicht einer meiner schönsten Erfahrungen. Chilchzimmersattel – Regen, Weißenstein – Regen…… Über die Steigungen kann ich nichts berichten, am meisten habe ich die Nässe zur Kenntnis genommen. Doch im Morgengrauen ließen die Wassermassen nach und bei Tageslicht trockneten die Straßen dann auch ab. Wenigstens den Chasseral soll ich erblicken. Bei meiner Fühjahrstour war er leider noch gesperrt, was mir allerdings, durch meine ausgesuchte Umgehung, zuerst nach Neuchâtel und dann über Val de Ruz keine Einsparung an Höhenmetern brachte. Diesmal wollte ich also drüber. Allerdings nicht ohne Hindernisse, denn stets stellten sich mir ganze Gruppen von Rindern in den Weg. Da half mir auch nicht die Aussage, dass eine Kuh ein Fluchttier ist. Irgendwie muss ich daran vorbei und über diese ratternden Bovi Stops. Der Gipfel hüllt sich immer mehr in Nebel, und bei der letzten Weggabelung entscheide ich mich für die linke Variante, da mein Tacho und Roadbook noch mindestens 2 km bis zum Gipfel ansagten. Außerdem stand da ein Schild Route Privé, Durchfahrt verboten, und ich halte mich stets an Regeln. Es wurde mir zum Verhängnis, 2 km fuhr ich bergab, stellenweise 16% und immer wieder an diesen Kühen vorbei. Als ich meinen Fehler einsah und bereits auf dem Rückweg war, lichtete sich für einen kurzen Moment der Nebel und ich konnte dieses Monstrum von Turm für wenige Sekunden hoch über mir erblicken. Daneben Alain, der rief und winkte, wo ich denn bleibe. Toll, dieser Berg mag mich nicht.
Immerhin kannte ich St Imier, dort gibt es nur 2 parallel verlaufende Straßen die flach sind, alles andere geht gnadenlos bergauf, so auch die ausgewählte Strecke zum Mt Soleil. Für eine Schweizer Straße nicht gerade der komfortabelste Belag, aber es sollte ja noch schlimmer kommen.
Bereits auf dieser romantischen Abfahrt zur Doubs Schlucht, auf der ich mehr bremsen musste als fahren zu können, überkam mich eine Ahnung wie es auf französischer Seite wieder hoch gehen sollte. Die Straße, steil, schmal, löchrig mit Steinen, Ästen und nassem Laub gleichmäßig überzogen. Ich hatte keine Chance wieder auf mein Fahrrad zu steigen. Selbst das Laufen auf dem feuchten Belag war nicht ganz einfach. Und das Ganze für mindestens 5 km. Wie schön, dass dann eine erste Abfahrt kam, die man ohne Bremsmanöver genießen konnte. So war St Hippolyte schnell in Sicht und auch wieder vorbei.
Nach Lure wollten wir noch vor Ladenschluss kommen und waren stellenweise sogar ermutigt vorne mal das große Blatt aufzulegen. In Lure ist man auf die Bedürfnisse der Randonneure eingestellt. Ein Pizzaservice verspricht und hält, eine Pizza innerhalb 4 Minuten, rund um die Uhr. Außerhalb der Geschäftszeiten sogar aus dem Automaten frisch gebacken. Die Taschen im Supermarkt aufgefüllt und weiter ging es Richtung Ballon de Servance. Gegen diesen Anstieg kann ich nichts sagen, aber der Zubringer über Château Lambert hat es in sich. Ich sah die Strecke vor mir im Abendlicht, und bat darum erst mal zwei Stunden zu schlafen. Jedoch auch nachts in der Dunkelheit ließen sich die Steigungen nicht verbergen. Das war auch keine Straße, eher ein geteerter Waldweg. Ohne sich einfahren zu können, ging es nach der Pause direkt in den Berg. Es war als ob sich über meine Oberschenkel heißes Wasser ergießen würde, zuerst dachte ich an eine Belastungsinkontinenz meinerseits, aber es war nur ein starkes Brennen meiner Muskeln. Das nächste Schlagloch, sowie mein durchdrehendes Hinterrad setzten der Tortur ein Ende. Ich sprang ab und übte mich wieder im Schieben. Noch mehrmals versuchte ich mich im Fahren und sehnte die normale Passstraße herbei. Die Abfahrt auch wieder steil, löchrig und engkurvig, so dass ich auch hier abermals keine Chance hatte meine verlorene Zeit aufzuholen.
Den Ballon d´Alsace, kenne ich und freue mich auf den guten Straßenbelag. So fahre ich vor mich hin durch die Nacht, lasse Gedanken aufkommen und wieder ziehen, lausche den Wassermassen um mich herum. Diese waren mir vorher nie so aufgefallen, aber es ist verständlich, war ich doch letzte Nacht selbst Zeuge des Starkregens und den daraus resultierenden Bächen. Oben angekommen kauerte bereits Alain in einer Ecke. Ich belegte die Brote für die nächste Etappe, aß noch einen Becher Obstsalat und verhüllte uns Beide unter meinem Biwak Sack. Wohlwissend, dass diese Pause mich nun aus dem Zeitplan wirft, aber die Ruhe da oben in zartem Morgenlicht will genossen werden.
Bereits seit einigen km, resultierend aus der Erfahrung am Servance, erahne ich Fürchterliches. Was heißt es wohl: „Für den Grand Ballon haben wir uns für die verkehrsberuhigte Direttissima entschieden.“ Der Gedanken daran nahm mich so in Beschlag, dass ich ganz den noch dazwischenliegenden Col du Page und Oderen vergaß.
Dann endlich ist es so weit, hinter der nächsten Biegung lag die Auffahrt, zuerst 5 km nach Geishouse und dann weitere 5 km zur Auberge Haag. Gespannt bog ich um die Ecke, kam…, sah…. und stieg ab. Wer hat die Straße senkrecht aufgestellt? Wieder schieben, wie lange? Wenn es in dieser Steigung weitergehen sollte, wären wir ja bereits in 5 km oben. Es wurde flacher, ich konnte fahren, die Geschwindigkeit verrate ich nicht. Die Sonne stieg auch höher und ich versorgte mich erst mal mit Unmengen von Sonnencreme Lsf 50 und luftigeren Kleidern. Nun ja, mittlerweile ist ja alles unter 10 % moderat, also fuhr ich weiter vor mich hin. Alain ist bestimmt schon auf dem Ballon und hat die verlorene Zeit herausgefahren, während ich mich immer noch mit den Schlaglöchern auseinandersetze. Ein intensives Studium der unterschiedlichsten Löcher, die sich über die ganze Straßenbreite ziehen. Schlaglöcher mit Splitt drumherum, mit Schlamm drumherum, mit ganzen Felsbrocken und, und, und. Irgendwann machte die Slalomfahrt keinen Spaß mehr. Beim Erblicken der ersten Weidezäune wusste ich, dass die Ferme nichtmehr weit sein kann. Es folgte dann auch noch eine richtige Straße, allerdings nichtmehr verkehrsberuhigt. Ich begnügte mich mit dem Passschild, setzte mich hin, genoss die Aussicht und packte mein Mittagessen aus. Taboulé mit Karottensalat.
Dies sei nur erwähnt, da sämtliche Diskussionen mit mir über Gewichtsoptimierung sinnlos sind. Ob Watteinsparung mit Batterielicht, statt Dynamo, sowie Verzicht auf Schlafsack, Karbon hier und dort, etc. Gepäcktransport usw. Wenn man sein Mittagessen erst mal über 4 Pässe schleppt um es dann zu vertilgen, ist jede Einsicht auszuschließen.
Petit Ballon, leider waren unsere Trinkflaschen leer. Vorsichtshalber füllten wir sie am Fuße des Berges im Bach auf. Wir haben es überlebt. Jedoch bin ich immer kraftloser. Die Steigung war annehmbar, aber trotzdem bekam ich keine Geschwindigkeit. Selbst die laute Popmusik aus den Lautsprechern eines Feriencamps für Jugendliche lies mich nur kurzzeitig meinen Rhythmus wiederfinden. Nach der Hälfte sah ich das Malheur, ich hatte vorne noch nicht heruntergeschalten. Dass es nun besser ging, kann ich allerdings auch nicht sagen. Rein rechnerisch waren wir mittlerweile eine Stunde zu spät und werden nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit am Martinstor sein. So war die Entscheidung nicht schwer sich auf der Ferme am Gipfel nochmals mit Heidelbeerkuchen zu stärken und die Aussicht zu genießen bevor es die letzten Steigungen hoch und dann in Richtung Rheingraben ging.
Bald verließen wir die Wälder, schlängelten uns durch die Weinberge. An einem Friedhof machten wir nochmals Halt, füllten unsere Flaschen aus dem Brunnen, Wasser dieser Erde. Nochmals ließ ich meinen Blick schweifen, an den Gräbern vorbei, hinab in die Ebene. Es sollten nun malerische Weinorte folgen, aber auch Massen von Menschen dichtbesiedeltes Land, Autoverkehr und hektisches Treiben, das letztendlich ins bunte Durcheinander am Martinstor mündet.
Deshalb endet mein Bericht dort oben in den Bergen, wo immer noch ein Stück von mir verbleibt und auf meine Wiederkehr wartet.
„Im Hirschen“ in Merzhausen stehe ich an der Bar. Der freundliche Chef zapft mir ein Bier und fragt, warum macht man das? Ich ziehe die Schultern hoch, finde keine passende Antwort für ihn. Er nickt verständnisvoll und sagt: „Hat wohl der Therapeut empfohlen.“