Angefixt !? - Meine ersten Brevets

Autor
Markus Mattes
Datum
07.05.2011

Lieber Urban, Lieber Walter: Vielen Dank für das unbeschreibliche Erlebnis! Als langjähriger Freund von Urban, der mich in das Rennradfahren eingeführt hat (ich habe ihn tatsächlich bei meiner ersten Rennradausfahrt im Schwarzwald 1987 kennengelernt und gleich im Herbst mit ihm meine erste 4-tägige Rennradausfahrt in die Alpen unternommen), hat er mir im Laufe der Jahre alle Facetten des Rennradelns nahegebracht: erste Ganztagesregenfahrt, Pässefressen mit Gepäck, Schnellverpflegung an der Tanke (nix da mit Straßencafé, das hat er dann vielleicht von mir gelernt), erster Radmarathon (SURM) im zarten Alter von 32 Jahren, Radmarathon mit Zeitnahme und erste Langstrecke (Bern-Bodensee-Bern).

b400 2011Weiter bin ich den Weg mit Urban nicht gegangen. Als Vollzeit arbeitender Familienvater hat mich die Radlsucht nie so stark motivieren können, die vielen Trainingskilometer meiner (Familien-)Freizeit abzuringen, um beruhigt die Langstrecke angehen zu können. Als erfolgreicher Hinterradbeißer konnte ich mich Anfangs immer noch gut an Urban dran hängen. Die (oft einzige) Grundlage dafür holte ich aus meinem täglichen Arbeitsweg. Seit sechs Jahren sind das nun erst 17 und jetzt leider nur noch 13 km eine Strecke. Urban bewegt sich aber nun schon einige Jahre im 5-stelligen Kilometerbereich und die Langstreckensucht hat sich ausgiebig bei ihm ausgebreitet. So konnten mich auch meine Beißerqualitäten nicht mehr an seinem Hinterrad halten.

Wie ich Urban kenne, hat er wohl nur aus purer Berechnung, ein Brevet direkt an meiner Haustüre im Ibental vorbei gelegt und das auch noch den Zweihunderter, wohl wissend, dass ich das immer, auch ohne extra Training schaffe. Kleine Planungspanne war nur, dass ich letztes Jahr zu der Zeit ein bisschen das Tal runter gezogen bin, so dass ich wegen dem Umzug wirklich keine Zeit hatte. Dieses Jahr konnte ich mich dann natürlich nicht mehr entziehen. Bei traumhaften Bedingungen erlebte ich strecken- und landschaftsmäßig zwar nichts Neues. Auch das kollegiale Miteinander der Randonneure kenne ich ja vom SURM, den ich schon einige Male gefahren bin. Trotzdem war es wunderschön, nach Jahren mal wieder mit fröhlichen Radlern durch die Gegend zu brettern. Ich reizte die Sache voll aus, nicht wissend, wie ich diese Hatz durchhalten werde. Die erste Kontrolle habe ich nicht zur Pause genutzt, bei der zweiten Kontrolle nur kurz die Vorräte aufgefüllt und mich nach dem Kaiserstuhl mit zwei Mitstreitern von Ihringen nach Kandern in rauschender Fahrt leer gefahren. Völlig verspannt und platt brauchte ich erst mal eine etwas längere Pause und habe meine Mitstreiter ziehen lassen. Leider kamen die nächsten zwei Auserkorenen nicht richtig in Fahrt, so dass ich den Rest nach Freiburg alleine, mit ausgereizten Beinen, verspanntem Nacken, schmerzendem Hintern und bescheuertem Gegenwind zu Ende bringen musste. Ich gab alles um meine schnelle Runde zu einem guten Ende zu bringen, was mir vollkommen platt mit einem knappen 28er-Schnitt auf dem Tacho am Schluss auch gelungen ist. Glücklich im Ziel erwartete mich mein strahlender Freund Urban. Wohl wissend: Den habe ich wieder!

Klar, dass ich nach so einer zweihunderter Runde wissen wollte, wo der Hammer hängt und sehen wollte, wie ich ohne Vorbereitung die 300 km meistere. Urbans Ansage, dass er vor dem 300er den meisten Respekt habe und das vielleicht der schwierigste der Serie sei, da alle Höhenmeter in den ersten 200 km seien, machte mir zwar die Aufgabe bewusst, der ich mich da stellen wollte, konnte jedoch meine Geschwindigkeitssucht nicht erfolgreich eindämmen, so dass ich mich auf der ersten Steigung aus Freiburg raus schon in die Aufholjagd stürzte und mich an die schnellen vorderen Gruppen anfuhr.

Die erste knackige Steigung nach Neuenweg hoch verbrachte ich (wie üblich bei mir) schwatzend mit Jutta, die ich beim 200er kurz kenngelernt hatte. Wer Jutta kennt, weiß, dass ich dabei auch keine Zeit verloren habe. Als Geschwindigkeitsjunkie kann ich mich bergab erst recht nicht bremsen und so fuhr ich uns immer wieder an schnelle Vordermänner ran, so dass ich kurz vor der 1. Kontrolle mit ein paar Mitstreitern zu Urban aufschließen konnte. Leider ist ihm der Temporausch wichtiger, wie die Freunde, so dass er hastig wieder aufbrach mit dem Gruß: „Bis bald“. Da ich meinen ambitionierten Fahrstiel schon zu spüren bekam, wusste ich nicht, ob das noch auf der Strecke sein sollte oder erst im Ziel.

Unsere nette Unterhaltung fortsetzend machte ich mich mit Jutta und wechselnden Mitstreitern auf den Weg zum Berghaus Oberbölchen. Nun schon ein bisschen besser mit meinen Kräften haushaltend und wissend, dass wir die Tour zusammen fertig fahren werden, konnte ich Jutta am Berg ruhig ziehen lassen. Auch nachdem ich gesehen hatte, wie sie unsere Gruppe stehen ließ, da sie dummerweise kurz vor einem Anstieg die Führung der Gruppe übernommen hatte. So einem Bergfloh ist einfach nicht bewusst, wie einen die paar Kilo mehr am Berg quälen können. Nach schweißtreibendem Anstieg durch eine Landschaft, die den Ausdruck idyllisch wieder mit Sinn füllt und einem Kraft zurück gibt, die Strapazen durchzuhalten, erreichte ich das ersehnte Berggasthaus, dessen „Terrasse“ in dem Moment wie das Paradies erschien: Erholung, Pause, Essen. Und ein mich anstrahlender Urban. (Wäre diese Wirtschaft in Freiburg würden mich keine zehn Pferde da rein kriegen. Eigentlich sitzt man nur auf dem Parkplatz an der Straße zwischen geparkten Motorrädern und Autos. Aber es war ja nicht Freiburg, die Aussicht und die Landschaft sind fantastisch und dann waren da ja noch die 116 km in den Beinen und die vielen genauso verrückten Radler um einen herum. So dass alles passte.) Dieses Mal hatte er mehr Zeit, war dann aber auch irgendwann wieder weg.

Gut gestärkt und erholt machten Jutta und ich uns auf den Weg zum nächsten Ziel: die 200er-Marke. Danach sollten ja alle Höhenstrapazen vorbei sein. Den Rest sollte ich dann schon irgendwie schaffen. Ist ja dann nur noch eben . Der Weg nach Souboz war dann auch nicht besonders schwierig und ließ sich mit motivierten Mitstreitern, die sich nach jedem Anstieg wieder neu formierten zügig bewältigen. Zu meiner großen Überraschung traf ich dort sogar noch ein drittes Mal Urban, der sich gerade auf den Weg machte, als wir eintrafen.

Die üble Macho-Anmache aus der untersten Schublade, (die ich hier nicht zitieren möchte) gegenüber meiner charmanten Begleiterin irritierten mich doch ziemlich. Ebenso die öfters gemachte Aussage, sie biete nicht einmal einen vernünftigen Windschatten, die zwar nicht sexistisch, aber nichts desto trotz genauso uncharmant ist und nur von dem fahrerischen Unvermögen zeugt, in einem kleinen Windschatten zu fahren. Die euphorischen Hochgefühle für die vollbrachte Leistung brechen sich manchmal schon seltsam Bahn.

Zu zweit stürzten wir uns in die Abfahrt und ich fuhr uns wieder an gute Abfahrer heran. Da wir gut in der Zeit waren, mein Tank ziemlich leer und sich auch mit dem mitgeführten Proviant nicht wieder aufzufüllen ließ, konnte ich meine Begleiterin für eine Kaffeepause in einer Gartenwirtschaft gewinnen. So schön kann Radfahren sein, wenn es kein Rennen ist!

Das aufziehende Gewitter und Donner im Westen gemahnte uns zum Aufbruch, dem vermeintlich letzten Anstieg und der 200er Marke entgegen. Meine Prognose, dass uns der Regen verschonen würde, da wir in die andere Richtung fahren würden, bewahrheitete sich für uns glücklicherweise. Zu zweit fuhren wir, über die für Urban nicht erwähnenswerten Hügel des Sundgau (nach 200 km), Freiburg entgegen. Da ich mich recht gut fühlte versuchte ich mein Versprechen, Jutta nach Freiburg zu fahren, einzulösen. Nach 40 km Führungsarbeit bot sie mir jedoch an vor zu gehen, da meine Reserven zusehends schwanden. Und so erholte ich mich die nächsten 10 km in Ihrem Windschatten. Als wir so nach 50 km endlich wieder eine Gruppe in Sichtweite hatten, beschlossen wir zu versuchen, diese aufzufahren. Leider nahm diese auch wieder Fahrt auf, so dass diese Aktion fast die letzten Reserven (zumindest meine, wie viele Jutta noch hatte weiß ich ja nicht) kostete. Immerhin mussten wir im Gegenwind bis auf 38 km/h aufdrehen um Anschluss zu bekommen. Das sollte dann der Zug nach Freiburg werden, immerhin rollten wir schon am Rheinkanal Fessenheim entgegen. Die Gruppe war allerdings sehr inhomogen und lief sehr unterschiedlich. Sie hatte sich wohl auch erst vor kurzem zusammengefunden. Nach einiger Zeit lief es dann rund und unsere Achtergruppe wollte gerade unter Führung von Jutta eine Dreiergruppe überfahren als sich von hinten ein echter Kerl von Radsportler vor den Zug spannte um nicht von einer kleinen, zierlichen Frau an anderen Radlern vorbei gezogen werden zu müssen. TSG Leutkirch lässt grüßen! Wahrscheinlich soll das tolle Wadentatoo vom anderen Ende des Kerls ablenken. Der ist wahrscheinlich nicht so interessant. Kurz darauf toppten die zwei Sportskameraden die Aktion noch, indem Sie von hinten einen erfolglosen Ausreißversuch unternahmen. Hätten die netten Mitradler von hinten nicht gerufen, hätten sie den Abzweig nach dem AKW nie gekriegt.

Nach der Kontrolle ließen wir diese „Mitstreiter“ gerne ziehen und machte uns in kleiner, gemütlicher Runde auf die letzten paar km auf nach Freiburg, wo wir um 21:00 Uhr wieder im Augustiner eintrafen.

Glücklich und erfüllt von der Freude, gemeinsam einen so schönen Tag erlebt zu haben, ließen wir den Tag bei zwei Weizenbier und feinem Essen im Augustiner ausklingen. Auch wenn es ein paar nicht so schöne Erlebnisse auf der Fahrt gegeben hat, die ich so bei den Randonneuren nicht erwartet hätte, stehen doch wieder die vielen netten Begegnungen im Vordergrund und in meinem speziellen Fall die Freude über die für mich nicht selbstverständliche Leistung. 11 Stunden Fahrtzeit und ein 28er-Schnitt lassen einen den schmerzenden Hintern und den verspannten Nacken leichter ertragen. Allerdings zeigen Sie mir auch deutlich meine Grenzen auf, so dass der 400er oder 600er so nicht machbar ist.

Walter fragte mich nach der Anmeldung zum 300er, ob ich nun auch angefixt bin. Ich denke ja. Meine Kinder werden langsam flügge und ich werde mal meine Sitzprobleme ernsthaft angehen, dann kann ich in den nächsten Jahren immer wieder sehen wo ich stehe. In vier Jahren, wenn ich dann 50 bin werde ich vielleicht mit euch anderen Junkies nach Paris ziehen. Das ist doch ein Ziel.

Und einen Dank an die göttliche Fügung (und das Team des Augustiners), die Urban und Walter in den Augustiner geführt hat. Einen besseren Rahmen für die Veranstaltungen gibt es ja wohl nicht.