Kaffeeklatsch und Körner in Kandern (200er Brevet)

Autor
Christina Feuerstein und Christoph Molz
Datum
02.05.2015

(Wie immer: jeweils aus weiblicher und männlicher Sicht)

(Chrissie) Wer kennt das nicht: Vor großen Ereignissen wie z.B. Wettkämpfen, privaten Veranstaltungen, Urlauben oder eben auch Brevets, kann der Mensch die Nacht vorher oft schlecht schlafen. So ist das auch bei mir bislang immer gewesen. Mehr als 4-5 Stunden waren da selten drin. Vor dem 200er war es diesmal komplett anders. Wir kamen am Freitagabend aus dem Trainingslager in Südfrankreich zurück und mussten dann auch noch eine Sportveranstaltung am Sonntag vorbereiten. Ich war dementsprechend zu platt, um an Schlafstörungen zu leiden. Das Besondere war aber nicht der relativ lange Schlaf, sondern der Traum der mich kurz vor dem Aufwachen heimsuchte: Ich träumte, dass ich mich auf eine lange Radtour vorbereitet hatte, BRM200 2015mich dann voller Vorfreude auf meinen Drahtesel schwang und es passierte...NIX! Verzweifelt versuchte ich in die Pedale zu treten, aber ich kam keinen Millimeter voran. Meine Mitstreiter schauten mich fragend an, bis ich die Ursache allen Übels entdeckte: Chris hatte mir heimlich seine Packtaschen ans Rad gehängt und mit zentnerschweren Steinen gefüllt. War das jetzt das Omen für den bevorstehenden 200er oder für alle nachfolgende Brevets oder gar für Paris-Brest-Paris?

(Chris) Paris ruft: die Qualifikation für Paris-Brest Paris hat begonnen. Entsprechend groß ist der Andrang an Fahrern. Wir haben für 8 Uhr gemeldet, um die leichtere Version des 200er Brevets zu fahren. Eine gute Entscheidung, wie sich hinterher rausstellt, denn die andere Gruppe hat wohl deutlich mehr Regen abbekommen.

Eigentlich sah alles nach einem schönen Tag aus. Die Wetterprognosen waren optimistisch, mit einem kleinen Regengebiet irgendwo im Schwarzwald. Lächerlich... 

Als wir endlich zum Start rollen wollten kam das erste Malheur: Chris hatte die falschen Schuhe angezogen und kam nicht in die Klickpedale rein. Ok, kann mal passieren -nachdem Chris bereits im Trainingslager die falschen Klickpedale zu den Radschuhen mitgenommen hatte.

Endlich bei Bodo im Augustiner angekommen, die ersten bekannten Gesichter gegrüßt, lecker gefrühstückt (wow, es gab Lachs), bei Urban und Walter die Unterlagen entgegengenommen und Bodos individualisierte und neckische Kommentare einkassiert (ohne die fahre ich nicht los), ging´s dann endlich Richtung Schwarzwald. Mit von der Part(ie)y war natürlich wieder Uwe. Unsere zweite Windschattenblondine hatte nach ihrem Debüt letztes Jahr leider sofort wieder aufgehört.

Bodo, der Augustinerwirt, begrüßt uns wie immer gut gelaunt und mit einem dummen Spruch, denn wir sind bei ihm auch außerhalb der Serie gerne gesehene Gäste. Nach der üblichen Vorbesprechung geht es los. Die Strecke kennen wir inzwischen fast auswendig. Für Nachmittag ist „etwas Regen“ angesagt. Uwe aus Heilbronn begleitet uns wieder. Trotz Starts in kleinen Trupps findet sich nach kurzer Zeit wieder eine größere Gruppe zusammen, die erst an der Steigung vor St. Peter auseinanderfällt. Zu meinem Erstaunen überholt uns dort  Ralph, der sonst immer mit den schnelleren Fahrern zusammen fährt. Seine Erklärung ist einleuchtend: aufgrund einer Erkältung hat er auf die leichtere Variante umgemeldet und begleitet eine Kollegin. Wir werden ihn noch öfter sehen. Und seine Minikamera, mit der er immer mal wieder die Szene filmt. Kurz nach der Verpflegung in Simonswald fallen die ersten Regentropfen.

BRM200 2015Bis zum ersten Anstieg hatten wir bereits ein flottes Tempo  drauf und ich entschied mich - als alter Diesel -, dass ich mir heute ein paar Körner ansparen muss. Irgendjemand erzählte nämlich zuvor, dass wir jetzt doch vermutlich in eine Regengebiet kommen würden. In St. Märgen heftete sich kurz einer hinten dran und fragte voller Selbstverständlichkeit, ob er ein Stück bei den "Breisgauer Windschattenblondinen" mitfahren könne. Es war Ralf! Mit seiner Kamera in der Hand fuhr er an uns vorbei und nahm dabei besonders das, etwas kurios anmutende, Titanrad von Chris in Augenschein. Er sagte, dass er heute mit einer Kollegin fährt und ließ sich dann wieder zurückfallen. Bis zum Hexenloch fuhren wir zügig weiter, der Gegenwind ließ dieses Jahr auf dem Teilstück Milde walten. Im Hexenloch wurde es etwas kälter, aber es war bei Weitem nicht so fröstelig wie letztes Jahr, als wir komplett durchgefroren an der ersten Kontrollstelle ankamen und uns drinnen bei Kaffee und Tee aufwärmen mussten.

 Am "Gscheid", oberhalb der steilen Rampe hinter Mußbach, fängt es richtig zu regnen an, so dass wir uns umziehen. Ich habe zwar regendichte Schuhe, aber das Wasser läuft von oben rein, so dass ich bald kalte und nasse Füße habe. Da hatte der gestrige Wetterbericht aber was anderes erzählt!  Kurze Zeit später kommt Wind auf.  Mir schwant böses, er kommt, wie meistens in unserer Region, aus Südwesten. Ich ahne, dass der Weg nach Süden hart werden wird. Zu uns gesellt sich inzwischen Manuela aus dem Raum Freiburg, die von der Leistung her gut reinpasst. Sie ist einige Wochen vorher den 600er zum MV gefahren.  Hut ab! Schon wieder zwei Blondinen im Schlepptau….

Kurz vor der ersten Kontrollstelle in Simonswald spürte ich bereits die ersten Tropfen. Wir hatten in Südfrankreich 8 Tage durchgehend Sonnenschein gehabt, mit z.T. 23 Grad. Am Freitag war es noch so schön gewesen und jetzt stehen wir bei  gefühlten 5 Grad vor dem Bäcker und wollen nur noch schnell weiter, bevor es noch ungemütlicher wird. Unterwegs gabelten wir eine einsame Radlerin auf, Manuela. Sie hat uns bis nach Freiburg begleitet.
Mit Uwe als Zugtier (Chris wechselte zwischendurch ab) hingen wir uns immer mal wieder an eine vorbeiziehende Truppe. So zogen wir mit zunehmendem Regen weiter, über die üble Rampe nach Mußbach, durch Freiamt,  Malterdingen bis nach Wyhl. Der Regen wurde immer stärker und in meinen Schuhen hörte ich wieder das vertraute schlurf-watschige Geräusch von wasserdurchtränkten Socken. Da müssen wir jetzt durch, hörte ich mich in einem ewigen Mantra murmeln, das war doch letztes Jahr schlimmer oder? Zu dem Regen gesellte sich dann auch noch vor Wyhl der Gegenwind. Eigentlich war er sofort da, nachdem wir ins Rheintal einbogen. Obwohl wir mit einer Gruppe nach Wyhl reinfuhren und ich hinten in der Gruppe hing, schmerzten meine Beine. Der Wind raubte meinem durchnässten Körper wieder weitere Körner. Ich fühlte mich an den Mistral erinnert, der in den ersten Tagen des Trainingslager unsere Ausfahrten fast unmöglich machte uns zu einem Tag Pause zwang. Hatten uns die Ausläufer bis hierhin verfolgt? Aber der Regen ließ zumindest nach.

Kurz vor Wyhl hört der Regen auf, der Wind bleibt. In Wyhl legen wir, wie immer, eine etwas längere Pause ein. Mein Versuch, die Socken über eine Ablüftung vom Geschäft zu trocknen, ist leider nicht erfolgreich. Dann machen wir uns auf den beschwerlichen Weg nach Kandern. Anfangs sind wir noch etwas im Schutz des Kaiserstuhls vor dem starken Wind aus Südwest. Nachdem wir Ihringen passiert haben, wird es richtig anstrengend. Nach einiger Zeit fahren drei Mitfahrer auf uns auf und überholen, so dass wir uns dranhängen können. Ab und zu macht auch Uwe Führungsarbeit, mir selbst ist das Tempo im Wind zu hoch, so dass ich mich nur dranhängen kann. Schon witzig: nach jedem Führungswechsel gibt der neue Frontfahrer erst mal Vollgas, so dass wir Mühe haben, dranzubleiben. Nach einigen hundert Metern  lässt aber dann immer das Tempo nach. Irgendwann haben die drei genug und scheren aus, so dass ich auch mal wieder vorne fahren "darf".  Mir selbst ist es  egal, ob ich vorne oder hinten fahre: ich sehe das Ganze als Trainingseinheit für PBP. Christina hat den Platz hinter mir gepachtet: ich bin einer der Wenigen, die ein Schutzblech montiert haben, was auch den Hintermann vor dem Wasser auf der Straße schützt. Kurz nach Neuenburg überholt uns Jochen mit zwei Mitfahrern, viel später als im Vorjahr,  denn dort war er schon kurz vor dem Rimsinger Ei an uns vorbeigedüst. Dieses Mal ist die Düse allerdings wohl verstopft, denn die Gruppe entfernet sich nur langsam von uns. Später erzählt mir Jochen, dass alle drei wegen des strammen Gegenwinds schon ziemlich fertig waren.

Bei Edeka in Wyhl ging ich nicht zuerst in den Laden sondern steuerte das Objekt der Begierde an, welches bereits letztes Jahr  nach kurzer Zeit komplett belegt war: Ich stellte mich über den Luftschacht. Durch seinen -diesmal leider etwas kühleren- Luftzug erhoffte ich mir schnelltrocknende Klamotten und Füße. Zum Glück hatte ich noch ein Paar Ersatzsocken dabei. Selbst die komplett nassen Sachen wurden zumindest etwas trockener. Nach einer kurzen Essenspause zogen wir schnell weiter, die Nachkälte erfasste uns alle. Wir mussten uns also wieder warmtreten. Der Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen, aber die Füße waren taub. Der Kaiserstuhl ließ uns etwas hoffen, aber nach Ihringen kam die erneute Prügelattacke von vorn. Uwe trat wie besessen in die Pedale, trotz des brutalen Gegenwindes. Wie machte der Kerl das bloß immer? Irgendwann überholte uns eine Gruppe von drei Riesen. So kamen sie mir zumindest vor. Ich dachte zunächst, sie seien Teilnehmer der zweiten Startgruppe, aber den späteren Ereignissen nach zu urteilen, war dem nicht so. Sie fuhren jetzt also vorne weg und hinten spielte sich der Ziehharmoniker-Effekt ab: Anfahren-Abbremsen-Anfahren. Hatte ich irgendwas verpasst? Nach einer gewissen Zeit setzte sich Uwe nach vorne. Im Laufe der Kilometer realisierte und kapierte ich dann endlich die Gesamtsituation: Anscheinend hatte sich in der Gruppe immer einer so weit in den Wind gehängt, bis nach kurzer Zeit nichts mehr ging. Dann kam der Nächste, gleiches Spiel, usw.. Als Uwe das geblickt hatte, setzte er sich nach vorne. Die Gruppe wurde etwas stabiler und ich genoss endlich eine Art Windschatten hinter den Radriesen, die sich dem Wind entgegenstellen (oder uns davon fahren? ) wollten, aber letztlich an seiner Kraft scheiterten... Wir sind ihnen später wieder begegnet, als sie geradezu entspannt auf einer Bank hockten, winkend und mit einer Stulle in der Hand... Vor dem Wind sind wir halt alle gleich.

BRM200 2015Nach kurzer Pause vor Schliengen geht es an die Anstiege Richtung Kandern. Ich bekomme langsam Hunger, es reicht jedoch bis zur Kontrollstelle ohne Leistungseinbruch. Dort schaufelt sich Uwe, der kurz vor einem Hungerast steht, alles Mögliche rein. Ansonsten sieht es hier aus wie bei einem Kaffeekränzchen: die meisten trinken einen Kaffee und essen was entsprechendes dazu. Hier sehe ich wieder mal, wie unterschiedlich die Verpflegungsgewohnheiten sind: Christina mag gerne deftiges (allerdings hat sie dieses Mal nur zwei Bananen gegessen), ich bevorzuge süße Sachen. Leider gibt es dieses Mal kein Stück Linzer Torte in der Auslage, was Christina ein Kopfschütteln erspart. Uwe isst querbeet.....  Die letzten 50 km sind kein Problem, da der Wind von hinten kommt. Traditionell geben Uwe und ich am letzten Anstieg vor Bollschweil nochmal Vollgas, bevor wir  hinunter nach Freiburg rollen und im Augustiner eintreffen.

Vor Neuenburg überholte uns Jochen mit zwei Radlern im Schlepptau (nein, nicht mit dem Getränk). Letztes Jahr überholte er uns bereits viel früher. Nur langsam entfernten sie sich von uns. Sie schienen sichtlich gezeichnet von den diesjährigen Wind- und Wetterstrapazen. Irgendwann bogen sie dann links ab. Schade, fast hätten wir sie noch eingeholt. Naja, fast.

Als wir dann endlich in Kandern angekommen waren, fingen auch meine Füße wieder an, am Leben teilzuhaben. Während ich mir zwei Bananen von der Obsttheke bei Edeka gönnte, saßen Chris und Uwe nach meiner Rückkehr gemütlich mit den anderen beim Bäcker in der Ecke und verleibten sich reihenweise Köstlichkeiten hinein. Eigentlich ging es mir recht gut und ich wollte schnell weiter, aber die beiden machten keine Anstalten, vorzeitig aus ihrer Komfortzone auszubrechen. Nachdem  ich meine Flaschen aufgefüllt hatte, kam noch der zweite und dritte Gang bei Uwe: belegte Weggle, Kuchen und Cappuccino...Hier dann auch meine zweite und dritte Uwe-Frage: Wie passte das alles nur in den Kerl rein? Und wie kam er dennoch so schnell die Berge hoch?

Die Sitzecke bei Edeka hatte mir letztes Jahr auch sehr gut gefallen, als wir ziemlich durchnässt neue Kräfte sammeln mussten. Vielleicht lag es aber auch an dem großen Angebot des Bäckers? Nur Chris hatte diesmal etwas Pech: Keine Linzertorte, dumm gelaufen... Eigentlich fehlte für diese "Völlerei" der beiden nur noch der krönende Abschluss: Ein Kräuterlikör für die Verdauung. Aber die beiden entschieden sich dann doch endlich für die "trockene" Weiterfahrt.

Logischerweise hatten wir jetzt Rückenwind und die Kilometer Richtung Freiburg vergingen quasi wie im Flug.

Vor Bollschweil lieferten sich Chris und Uwe noch die obligatorische Bergattacke. War doch klar. Ich für meinen Teil merkte, dass noch ein paar Körner übriggeblieben waren und radelte entspannt die Hügel hoch, um mich dann ganz besonders auf die Abfahrt nach Freiburg zu freuen. Geschafft!

Nach 2 Colaweizen und einem Salat erwachen die Lebensgeister wieder. Jochen sitzt  noch in der Kneipe, sein Schritt ist etwas schwerfällig. Er wartet auf die anderen Mitglieder unseres Vereins: umsonst, sie haben wohl frühzeitig aufgegeben.
Dieser 200er war wohl der härteste bisher, und das bei immerhin 4 Teilnahmen!

Ein Colaweizen und einen Salat später (ja, die Auswahl hört sich komisch an) war dann alles wieder gut. Sowieso fühlte ich mich besser als letztes Jahr. Wir redeten noch eine Weile mit ein paar Leuten, die den 600er zum Mt. Ventoux gefahren sind und schauten uns tolle Bilder an. Wir wären gerne dabei gewesen, konnten aber aus Zeitgründen leider nicht, schade. Dafür waren wir letztes Jahr dort und machten beim "Les Cinglés du Mont Ventoux" mit: An einem Tag drei Mal den Gipfel hochfahren. (Bedoin - Malaucene -Sault). Uwe war noch bekloppter: Er ist sechs Mal innerhalb eines Tages auf den Gipfel gefahren. Damit haben sich weitere Uwe-Fragen später erübrigt...

BRM200 2015Jochen saß auch noch im Augustiner und wartete auf seine Leute, die aber nicht mehr kamen. Seinem "Pierre Littbarski"-Gang nach zu urteilen, hatte er eine sehr harte Tour hinter sich. Chris erzählte er später noch davon. Bodo tummelte sich derweil  gut gelaunt und mit den besten Sprüchen unter den bunten Haufen. Ach, war´s wieder schön. Insbesondere dann, wenn die Strapazen von einem abfallen, die Entspannung einsetzt und man nur noch von gutgelaunten Menschen umgeben ist, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie wir.

Danke an Walter, Urban und Bodo (und seinem Team). Und an alle die ich vergessen habe, zu erwähnen und die auch mitgeholfen haben. Nächstes Jahr also bitte kein Regen, kein Wind, aber gerne wieder die Sitzecke beim Bäcker in Kandern!

Chris & Chrissie