Windschattenblondinen (200-km-Brevet)

Autor
Christina Feuerstein / Christoph Molz
Datum
16.04.2014

Wie inzwischen bei uns üblich: Zwei Berichte in Einem. Ei(n)er aus der Sicht des Mannes, die andere Version vonner Vollzeit-Blondine

Im Vorjahr vor P-B-P steigt die Motivation, Brevets zu fahren, schlagartig an. Nach einer gut verlaufenen Meniskus-OP fühle ich mich wieder fit genug für die Langstrecke und für Triathlon. So sitze ich am Morgen mit Christina beim Frühstück im Augustiner und freue mich, viele bekannte Gesichter (einschließlich Bodo und sein Team!) wieder zu sehen. Uwe aus Heilbronn, den wir seit 3 Jahren von Brevets her kennen, hat sich uns wieder angeschlossen, ebenso wie Mirko und, zum ersten Mal, Ute von unserer Triathlonabteilung vom SV Kirchzarten. Die fitteren unserer Abteilung starten eine Stunde später, wir sehen sie noch kurz vor dem Start ins Augustiner eintrudeln. Sie fahren eine andere Route mit etwas mehr Höhenmetern. BRM200 2014

Ist tatsächlich wieder ein komplettes Jahr vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal zusammen mit den wintermüden und frühlingshungrigen Randonneuren zum Start in die neue Saison, bei Bodo früh morgens zusammen fanden? Wir hatten letztes Jahr nur den 200er mitgemacht, den 300er wegen Krankheit abgebrochen. Ich kann kaum fassen wie schnell die Zeit vergeht, aber als Chris und ich das Augustiner um kurz nach 7 Uhr an diesem noch recht frischen Aprilsamstag erreichen und die Räder in den Wintergarten schieben, ist das vertraute Gefühl wieder da und das eine oder andere bekannte Gesicht schaut erwartungsvoll in die Runde. Bodo und sein Team begrüßen uns wie üblich mit einem frechen, neckischen Spruch auf den Lippen, und ich wundere mich, dass sie so früh morgens deutlich fitter wirken als wir. Es gibt zwei Startgruppen. Wir sind in der Ersten, die um 8 Uhr startet. Ute, aus unserem Verein, ist heute das erste Mal dabei und noch nie eine längere Strecke gefahren. Uwe aus Heilbronn, mittlerweile fast schon ein fester Bestandteil unserer 200er-Truppe, gesellt sich noch unseren Tisch und wir sind somit (fast) vollständig.
Es kann losgehen...
Ach, natürlich noch nicht! Die traditionelle Ansprache von Walter und Urban darf selbstverständlich nicht fehlen. Aber jetzt geht´s los...  

BRM200 2014Es ist bedeckt und teilweise neblig, als wir Richtung Ibental fahren. Wir sind in Kleingruppen gestartet, doch vor dem Ibental entsteht trotzdem wieder eine größere Gruppe, die sich erst im steilen Anstieg auflöst. Ute, die eher der Kategorie Sprinter zugeordnet ist, hält sich in den Anstiegen mehr zurück als wir das von ihr kennen, und das ist gut so. Wir kommen gut oben an, dann geht’s Richtung St. Märgen und Hexenloch, wo wir uns, wie an diesem Tag noch sehr oft, umziehen. Die Wetterverhältnisse wechseln ständig von warm nach kalt und von Nieselregen auf trocken. Dadurch verlieren wir relativ viel Zeit. Die Vegetation ist weiter als im Vorjahr, wo der Winter endlos lang war. Die Abfahrt ins Hexenloch kann ich nicht wirklich genießen, da es recht kalt und die Straße teilweise etwas feucht ist. Das ändert sich auch nicht bei der Weiterfahrt nach Simonswald. Danach wird es aber etwas wärmer. Die steile Rampe vor Freiamt komme ich, dank meines neuen Titanrads mit guter Bergübersetzung (vorne 30, hinten 28) gut hoch, ebenso wie Christina, die inzwischen ebenfalls eine Bergübersetzung (34 – 32) hat.

Ohjeh... Es ist doch ganz schön frisch, wie ich schnell feststelle. Regen wurde im Vorfeld  angekündigt, bewölkt ist es bereits. Wir kennen die Strecke mittlerweile fast auswendig, zumindest bis nach Simonswald. Die übliche Gruppenbildung bis zum ersten Aufstieg im Ibental ist mir auch sehr vertraut. Vor dem steilen Aufstieg nach St. Peter ziehen wir uns kurz um, denn es wird knackig. Uwe, unsere Bergziege, ist natürlich vor uns oben. Ich habe eine neue Übersetzung und merke den deutlichen Unterschied. Trotzdem lasse ich es gemütlich angehen, denn es steht heute noch der eine oder andere Höhenmeter auf dem Plan. Ich kurbele an einigen Teilnehmern vorbei, die sichtlich mehr zu drücken haben. Oben angekommen, wartet bereits Mirko auf uns. Jetzt ist unsere Truppe vollständig und ein Name für unser Team wird uns später auch noch durch einen lustigen Zufall einfallen. Wir fahren sofort Richtung St. Märgen und danach weiter zum Hexenloch. Die Strecke kommt mir kürzer vor als im Vorjahr, aber damals lag noch Schnee an den Straßenrändern und es war saukalt mit Gegenwind. Heute ist es nur saukalt, zum Glück. Später kommt allerdings noch Nieselregen dazu, das wird dann zur psychischen Herausforderung und es wir durch das häufige Umziehen einiges an Zeit kosten. Die Abfahrt zum Hexenloch ist gut zu befahren und nicht ganz so nass wie letztes Jahr. Nur vereinzelt kommen mir bei diesem Steilstück Autos entgegen, aber die engen Kurven sind dennoch jedes Mal eine Herausforderung, da mir öfter schon Autos auf meiner Seite entgegengekommen sind. Auch heute werde ich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert: Nach einer Kurve fährt plötzlich ein Postauto vom Straßenrand los. Ich muss kräftig bremsen, um nicht aufzufahren. Er hat einfach nicht geschaut! Ich ziehe mir an der Abzweigung noch dickere Socken an, da sich die nächste Abfahrt nach Simonswald bekanntermaßen wie eine Fahrt durch einen Kühlschrank anfühlt. Quasi der kleine, badisch-sibirische Bruder des Brevine-Tals (beim 600er).
BRM200 2014Ein Taleinschnitt so eng, dass sich erst später im Jahr die Sonne zu den wenigen Höfen durchkämpft. Kurz vor Simonswald, fängt es erneut an zu nieseln und ich bin gedanklich schon im frühlingshaften Kaiserstuhl, wo die Vegetation deutlich weiter ist als hier und die Sonne uns entgegen lachen wird, das hoffe ich zumindest. Bei der ersten Kontrollstation machen wir eine Kaffeepause. Da ich an einer Lebensmittelunverträglichkeit leide, musste ich mir im Vorfelde meine Verpflegung selber zusammenstellen und mitnehmen. Als ich dann die Auslagen des Bäckers sehe, ziehe ich mich etwas beleidigt mit meinem geschmacksneutralen und glutenfreien Weckle in die Ecke zurück, während meine Teamkollegen in all die süßen oder herzhaften Gaumenbomben des Bäckers beißen...Grrrrrr..
Weiter geht’s dann nach Freiamt und die gefürchtete Rampe scheint dieses Jahr früher aufzutauchen als sonst. Hat sich meine Wahrnehmung verschoben? Andere Strecke? Auch die Rampe selber kommt mir dieses Mal kürzer vor als die Jahre davor. Hier kommt dann der ultimative Test für meine neue Übersetzung und es klappt...gerade so. Aber ich wollte auch nicht übertreiben. Ich weiß, dass da noch ein paar nette „Rämpchen“ folgen werden.

Im Gegensatz zum letzten Jahr, wo wir bei massivem Gegenwind Richtung Wyhl fuhren, ist es heute fast windstill. Beim Edeka in Wyhl machen wir eine etwas längere Pause und diskutieren ausgiebig über Fettverbrennung und das Training dafür. Nach neuesten Erkenntnissen, höre ich, seien die langen Grundlagenausdauereinheiten nicht mehr notwendig. Da haben wohl Generationen von Ausdauersportlern alles falsch gemacht.... Dann geht’s Richtung Kandern. Bald danach kommt Nieselregen auf, der die Straße durchnässt und damit auch uns, vor allem im Windschatten, da keiner aus unserer Gruppe ein Schutzblech montiert hat. Trotzdem bleibt es erträglich. Kurz vor dem Rimsinger Ei überholen uns die ersten aus der schnellen Gruppe der 9-Uhr-Starter. Vorneweg ein Randonneur mit Triathlonaufsatz, dahinter drei Mitfahrer. Einen erkenne ich sofort am Radshirt: Ralph, mit dem im Dreisamtal bekannten auffälligen  Stegener Trikot (Böse Zungen behaupten: das hässlichste Trikot im Dreisamtal...). Sie düsen an uns vorbei und ungebremst ins Rimsinger Ei, einem riesigen Kreisel, wo wohl gerade kein Verkehr herrscht. Das sieht schon spektakulär aus. Kommentar von Ralph später im Augustiner: “Das hat schon Spaß gemacht, im hohen Tempo durch die Gegend zu düsen, aber wir mussten auch feststellen, dass du eine deutlich höhere Frauenquote hast”. Tja, man kann halt nicht alles haben... Irgendwann in der Diskussion fällt dann auch der Begriff „Windschattenblondinen“ (Christina ist ebenso blond wie Ute). Irgendwo in Neuenburg machen wir wieder eine kurze Pause, bevor wir die Anstiege nach Kandern in Angriff nehmen. Das Wetter hat sich etwas gebessert. Mir geht es sehr gut, da ich mich, im Gegensatz zum letzten Jahr, viel im Windschatten aufhalten konnte: Mirko und Uwe sind sehr oft vorneweg gefahren.
Nach Kandern bleibt es überwiegend trocken und warm mit ein paar kurzen Regenabschnitten. Die Rückfahrt geht deshalb recht problemlos vonstatten, bist auf den Faststurz eines Randonneurs, der in hohem Tempo überholt und in einer Kurve in Badenweiler hinten wegrutscht. Am Schlussanstieg vor Bollschweil geben wir Männer dann nochmal Vollgas bis nach oben.
BRM200 2014Kurz nach 18 Uhr sind wir wieder in Freiburg an. Es hat uns allen Spaß gemacht, auch Ute, die zum ersten Mal dabei war und Zweifel am Durchkommen hatte. Aber wie hat Walter mal gesagt: "Treten geht immer." Stimmt immer noch….

Richtung Wyhl sausen wir regelrecht. Die Abfahrten bei Malterdingen sind eine reine Freude, die langen Straßenabschnitte ohne Gegenwind. Mirko und Uwe machen heute die Lok für uns, Chris hilft ab und an aus, und Ute und ich genießen die vorbeiziehende Landschaft bei lockeren Beinen im Windschatten. In Wyhl gibt es dann eine längere Pause, aber es ist kühl und ich suche Schutz über einem Lüftungsschacht, aus dem warme Luft hochsteigt. Schnell wird der knappe Quadratmeter voll, auch andere haben anscheinend ein Bedürfnis nach Wärme...
Kurz vor dem Kaiserstuhl fängt es dann erneut an zu nieseln. Wir sind bei Simonswald einer 3er-Gruppe begegnet, die wir immer mal wieder überholen: Vorne eine Lokführerin, dahinter zwei Anwärter in Ausbildung. Wenn wir Pause machen ziehen sie vorbei, bzw. wenn Uwe oder Mirko die Lok bilden, hängen sie sich kurzfristig dran.
Beim Rimsinger Ei überholt uns in einem Affentempo ein Tridem...dachte ich zunächst.
Es waren aber vier Teilnehmer der zweiten Startgruppe, die deutlich zu den Schnelleren gehörten. Chris hat im letzten Moment einen von ihnen erkannt. So schnell wie sie vorbei fuhren, waren sie bereits am Horizont verschwunden. Wahnsinn! E-Bikes?

Der Regen wird vor Neuenburg zunehmend stärker und das Wasser spritzt dem Hintermann ungefiltert ins Gesicht. Chris, Uwe und ich sind es von den Brevets her gewohnt. Irgendwann fangen meine Zähne an zu knirschen und ich vermute hart verlaufende Restkilometer. Leider verfahren wir uns doch immer mal wieder kurz, da wir einen großen Teil auf den Radwegen fahren, die plötzlich irgendwo im Nichts enden.  
Wir machen erneut eine kurze Pausen in Neuenburg.
Nach dem langen Aufstieg vor Kandern kommen wir endlich an der dritten Kontrollstelle an. Ich gehe kurz auf Klo und erblicke im Spiegel eine mir nicht bekannte Gestalt: Das Gesicht total dreckverspritzt, ebenso die Klamotten. Hier machen wir drinnen im Cafe eine Rast und ich wärme mich bei einem kurzen Powernapping mental und physisch wieder auf. Nein, Uwe, ich habe nicht geschlafen! Langsam freue ich mich wieder auf Zuhause. Die Feuchtigkeit hat mittlerweile alles durchdrungen und macht es nur beim Fahren erträglich.
Auf dem Rückweg habe ich nur noch Regen in Erinnerung. Ich bin der Meinung, dass wir insgesamt 4 Stunden berieselt wurden. In Badenweiler fahren Mirko und ich bei der Abfahrt in den Ortskern vorweg. Es ist nass und die Abfahrt zur Ortsmitte recht steil. Plötzlich schießt ein Radfahrer an uns vorbei, überholt und will scharf rechts in die Abzweigung bei der Cassiopeia-Therme einbiegen. Was dann geschieht, kenne ich nur von Stunt-Szenen aus dem Fernsehen: Sein Rad stellt sich quer, das Hinterrad beginnt zu schlingern und ich sehe ihn schon auf der Straße liegen. Es sah in der Tat so aus, als wollte er mit einer besonderen Bremstechnik schnellstmöglich um die Ecke herum. War vermutlich aber nicht so... Irgendwie schafft er es dann aber doch noch, das Rad abzufangen. Mirko und mir stockt der Atem und wir beschließen einvernehmlich, ab jetzt nur noch auf Sicherheit zu fahren. Wir wollen ja in Freiburg ankommen und Gesundheit geht vor.
Ein paar knackige Anstiege kommen noch und Uwe hängt sich blitzartig kurz an Urbans Gruppe dran, die in der zweiten Gruppe gestartet sind und uns hinter Badenweiler überholen. Nein, Uwe hängt sich nicht dran, er überholt auch noch am Anstieg! Hat er etwa immer noch nicht genug? Uwe könnte locker bei den anderen mitfahren, aber die reden wohl nicht so viel und haben keine weibliche Begleitung...Schmunzel!

Bei Bollschweil gibt es noch eine Attacke zwischen Uwe, Mirko und Chris. Ich folge kurze Zeit später und dann Ute. Den letzten Anstieg vor Merzhausen versuche ich mich an Mirko und Uwe dranzuhängen. Etwas geht also doch noch! Oder ist es die Euphorie darüber, dass bei Bodo die Heizstrahler bereits eingeschaltet sind? In Merzhausen warten wir auf Chris und Ute, da der Verkehr weiter zunimmt und fahren dann auf schnellstem Wege zum Ziel unseres heutigen Abenteuers. In meinen wasserfesten Socken hat sich mittlerweile ein Stausee gebildet, sie machen  bei jedem Schritt ein schlurfend-watschiges Geräusch. Ute und Mirko möchten schnell wieder nachhause, zumal es weiterhin regnet und der Tag zweifelsfrei sehr anstrengend gewesen ist.
Bodo begrüßt uns mit einem üblich süffisantem Spruch und nimmt uns die Karten ab.
Er drückt eh schon gerne mal ein Auge zu, wenn sich dreckverschmutzte und sonderbare Gestalten mit teilweise ebenso sonderbaren Rädern unter seine Gäste mischen. Wir sind dann dort alle zusammen, glaube ich, etwas Besonderes.

Uwe, Chris und ich versuchen nach einer kleinen Cool-Down-Phase zwischen trocknenden Klamotten, wilden Kartoffeln und Colaweizen unsere Erlebnisse aufzuarbeiten. Dabei erfahre ich von dem Gespräch zwischen Chris und Ralph, die uns beim Rimsinger Ei überholt hatten und dabei unsere blonde Frauenquote bemerkten. Es beginnt eine lebhafte Diskussion zwischen uns Dreien, in dessen Verlauf sich plötzlich ein Team-Name entwickelt und wir bei der bildlichen Vorstellung vor Lachen fast von der Bank fallen: ...Die Windschattenblondinen...!

Schee war´s allemal und einen fetten Dank an die Organisatoren, sowie an das Team vom Augustiner für ihren tollen Support.
(Ohne Bodos Sprüche würde mir jedes Mal etwas fehlen, ehrlich!)
 
Chris & Chrissie