Vom Winde verweht...(Chrissie) oder windige Zeiten (Chris)

Autor
Christian Feuerstein / Christoph Molz
Datum
09.05.2013

Prolog

Chris fragte mich noch am selben Tag, nach der Tour: „Wollen wir nicht einen Bericht über den 200er schreiben?“ Meine erste Antwort darauf lautete spontan: „Lohnt sich das überhaupt?“.

Kurz danach habe ich diese Antwort bereut, denn immerhin ist eine Menge im Vorfelde geschehen und nach dem dritten 200er ändert sich auch mal die Sichtweise, und das Blickfeld weitet sich für andere Dinge. Außerdem ist es ja wie so oft: Man benötigt zunächst ein paar Tage, um alle Eindrücke und Erlebnisse zu verarbeiten und findet dann doch noch das eine oder andere erwähnenswerte Detail, das sich unmittelbar nach einer Langstrecke, aufgrund von körperlichen und geistigen Aussetzern, in die hinterste neuronale Ecke verzogen hat. So war es auch dieses Jahr wieder.BRM200 2013

Im Vorfelde war noch nicht einmal sicher, ob wir alle starten können und dürfen. Die Teilnehmerzahl musste wegen der behördlichen Auflagen begrenzt werden und der „Run“ auf die begehrten freien Plätze begann schon weit im Voraus, zu Jahresbeginn.

Dank des unermüdlichen Einsatzes von Walter und Urban, zusammen mit einigen anderen Unterstützern, konnten wir dann doch in einem kleineren Kreis von Kirchzarten aus zu unserer ersten Tour des Jahres starten.

Für Chris und mich war es diesmal sogar mit einer längeren „Anreise“ zum Start verbunden, als in den Jahren zuvor.

Kirchzarten ist Heimat unseres Sportvereins und so waren natürlich auch einige vertraute Vereinsgesichter wieder mit von der Part(y)ie (Anmerkung: das Wortspiel hatte ich vor einigen Jahren auf einem Plakat gelesen, welches damals ein Spiel zwischen dem SC Freiburg und dem Hamburger FC St. Pauli ankündigte, meiner ursprünglichen Heimat).

Ich vermisste zwar diesmal die vertraute Atmosphäre vom Augustiner und das besondere Flair kurz vor dem Start, aber das reichhaltige Frühstück entschädigte etwas für die neue Umgebung.

So ging es also wie gewohnt um Punkt 8 Uhr los, aufgeteilt in verschiedene, zeitlich versetzte Startgruppen.

Das Wetter trocken und etwas kühl, aber es sollten diesbezüglich noch einige Überraschungen auf uns zukommen.

Wenn man die Strecke schon einige Male gefahren ist, dann ändert sich irgendwie auch die zeitliche Wahrnehmung, zumindest bei mir... Die letzten beiden Jahre hatte ich oft im Rückblick das Gefühl, dass einige Streckenabschnitte extrem lang waren oder ich eben diese Abschnitte im Nachhinein in eine komplett falsche Reihenfolge sortierte. Das hatte mich zwischenzeitlich etwas zermürbt, da ich anfing an meinem Geisteszustand zu zweifeln.

Dieses Jahr war der Bann dann in jeder Hinsicht gebrochen: Die Abschnitte kamen mir zum Teil viel kürzer vor und die Orientierung klappte bei uns hervorragend. So gut sogar, dass wir den einen oder anderen Mitfahrer noch rechtzeitig zurückrufen konnten, bevor er ins Ungewisse fuhr.

Ja, das ist der Vorteil, wenn man in seiner „Heimat“ unterwegs ist.

Zum dritten Mal starte ich beim 200er Brevet der ARA Breisgau. Es ist kühl und bedeckt, als wir in kleinen Gruppen vom Campingplatz in Kirchzarten, dem neuen Startort, losfahren. Das Augustiner, der frühere Standort, hatte mir besser gefallen: Bodos Kneipe hat mehr Atmosphäre und es gibt dort auch mehr Platz. Außerdem wird dort unser Lieblingsbier ausgeschenkt: das Andechser. Das „Esszimmer“ Kirchzarten ist aber auch in Ordnung. Das Buffet hier ist sehr reichhaltig.

Vom SV Kirchzarten sind dieses Mal Christina, Frank, Jochen und Mirko dabei.

Es hatte ein juristisches Gerangel um die Durchführung der Brevets gegeben: sind diese Veranstaltungen genehmigungspflichtig oder nicht? Eine Genehmigungspflicht hätte das Aus bedeutet.

Zum Glück kam eine Woche vor dem Start die gute Nachricht: die Brevets dürfen, mit kleinen Auflagen, durchgeführt werden! Was bleibt, ist das ungute Gefühl, dass in unserem Land immer mehr reglementiert und vorgeschrieben wird. Dem Einzelnen wird die Entscheidungsfreiheit genommen!

Die Krönung war eine Erzählung von Walter: In der Verhandlung hatte das Landratsamt doch tatsächlich Videos von der Veranstaltung auf Youtube gefunden, wo einzelne Teilnehmer anscheinend nicht immer auf den Radwegen unterwegs waren, um zu beweisen, dass sich nicht alle an die Verkehrsregeln halten. Dort hat man wohl sonst nichts zu tun?!

Dieser Gegenwind war sicher härter als der Heutige.....
 

Kirchzarten – Simonswald: Ab durch den Kühlschrank

Wir waren am Start in der ersten Gruppe, hatten aber niemals die Absicht, bei den Sprintern dranzubleiben. Mirko, ein Vereinskollege von uns, rauschte aber vor dem Anstieg zum Ibental an uns vorbei und wir staunten darüber nicht schlecht. Unsere spontane Vermutung war, dass er in den letzten Wochen bis zum Abwinken auf dem Hobel gesessen haben muss und es jetzt mal richtig wissen wollte. Oder vielleicht hatte er auch wieder eine neue Ernährungsstrategie, die er in einem Selbstversuch als erfolgreich zu bestätigen versuchte.

Chris und ich gingen es dagegen locker an, da wir ja die Strecke und deren Besonderheiten kannten. Am ersten Anstieg im Ibental, hoch nach St. Peter, gesellte sich ein Mitfahrer zu uns, der Chris ansprach und fragte ob er mitfahren dürfe. Für uns natürlich immer wieder eine willkommene Frage, da wir auch gerne in der Gruppe fahren. Bis dahin hatten wir uns auch nichts weiter gedacht, bis nach einigen Kilometern später, auf halben Wege zum Hexenloch, der ominöse Groschen (oder jetzt etwa „Cent“?) gefallen war: Der Mitfahrer hatte Chris erkannt aber Chris ihn nicht!

BRM200 2013Vor zwei Jahren hatten wir aus terminlichen Gründen bden 300er bei Offenburg mitgemacht. Auf den letzten 130 Kilometern standen dann plötzlich zwei der rollenden Gesellen an der Tankstelle, die gleichzeitig Kontrollstelle war. Wir kamen ins Gespräch und entschlossen uns sofort, zusammen zurück zu fahren. Die beiden hießen Uwe und Roland. Roland war Anfang 60, Uwe deutlich jünger. Beide waren ziemlich flott unterwegs. Wir fuhren also zusammen in die Dunkelheit und unterstützten uns gegenseitig, als wir wegen einer Straßensperrung verzweifelt den richtigen Weg zum Ziel suchen mussten.

Dieses Mal fuhr nur Uwe mit, Roland fühlte sich nach Aussage von Uwe nicht mehr fit genug, um an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Ich konnte es ehrlich nicht glauben.

Als die Überraschung dann positiv verdaut war, fuhren wir ab diesem Zeitpunkt als fest entschlossene und perfekte Schicksalsgemeinschaft die komplette Strecke zusammen.

Uwe hat dabei öfter und freiwillig die Führung übernommen. Manchmal dachte ich sogar, er sei nicht ausgelastet...

Die erste wirkliche Herausforderung kündigte sich bereits auf dem Weg zwischen St. Märgen und der Abfahrt zum Hexenloch an: Uwe teilte uns in regelmäßigen Abständen die Temperaturstürze mit und wir schauten etwas verwundert und zugleich auch fasziniert auf die restlichen Schneemassen am Straßenrand, während sich im Tal bereits langsam der Frühling ankündigte. Vom letzten Jahr wussten wir, wie unangenehm die Abfahrt ins Hexenloch bis kurz vor Simonswald werden kann. Wir rüsteten uns bei 3 Grad dementsprechend aus und Dank dem ergiebigen Handschuhvorrat von Chris, waren dann sowohl für Uwe als auch für mich ein Paar dicke Handwärmer drin. Trotzdem waren meine Füße wie Eisblöcke, als wir endlich den „Kühlschrank“ hinter uns lassen konnten. Es ist immer wieder erstaunlich, dass die Temperaturen im Schwarzwald innerhalb von wenigen Kilometern so extrem schwanken können. Noch erstaunlicher ist aber für mich, dass in diesem „Loch“ tatsächlich Leute wohnen, die im Winter einige Monate lang kaum die Sonne zu Gesicht bekommen...BRM200 2013

Die Fahrt geht das steile Ibental hoch, durch St. Peter und Richtung St. Märgen, danach links runter ins Hexenloch. Uwe hat sich uns angeschlossen. Wir hatten ihn vor zwei Jahren beim 300er Brevet in Bühl kennen gelernt, und waren fast die Hälfte der Strecke mit ihm und seinem Kumpel Roland zusammen gefahren. Roland, der auch schon bei Triathlons mitgemacht hatte, fährt leider keine Brevets mehr.

Vor der Abfahrt ins Hexenloch ziehen wir uns vorsorglich Regenjacken als Kälteschutz über, denn es hat nur drei Grad. Da ich, nach meinen Erfahrungen bei meiner diesjährigen Finnlanddurchquerung mit Langlaufskiern, bei der ich mir eine Fingerspitze erfroren hatte, ein größeres Sortiment an Handschuhen mitführe, leihe ich Uwe, der tatsächlich ohne Handschuhe unterwegs ist, ein Paar aus. Schon seltsam: ich friere schnell an den Händen, aber fast nie an den Beinen, und bin deshalb auch heute in der kurzen Radhose unterwegs! Die Straße ist teilweise nass und sehr steil; wir fahren vorsichtig. Danach geht es links ab Richtung Simonswald. Es ist noch winterlich; die Bäume sind im längsten Winter seit langer Zeit noch kahl, und das Mitte April! Das trübt die Freude an einer der schönsten Abfahrten im Schwarzwald etwas. In Simonswald, bei der ersten Kontrollstelle, wird es dann etwas wärmer. Was das Wetter angeht, haben wir Glück: bis auf ein paar einzelne Regentropfen bleibt es trocken.

Simonswald – Wyhl: Über die Rampe in die Wampe, ähh....Wärme

In Simonswald angekommen, konnten wir dann auch endlich wieder aufatmen was die Temperaturen anging, und uns nach einem kleinen Päuschen - und etwas luftiger gekleidet - in die nächste Aufgabe stürzen: den steilsten Abschnitt dieser Tour. Wir fuhren immer wieder in kleineren Gruppe mit; teils mit schnelleren, teils mit etwas langsameren Fahrern. Vor dem Steilstück wurden zunächst die restlichen, überflüssigen Klamotten verstaut und es ging im Schneckentempo in die Rampe. Die Sonne brannte bereits ordentlich und ich zweifelte, ob ich jemals oben ankommen würde. Letztes Jahr plagten mich auf den ersten 50 Kilometer Magen- und Darmprobleme und ich dachte bei Allmendsberg ans aufgeben, da meine Beine nicht mehr wollten. Damals musste ich an der Rampe deswegen auch absteigen, dort ging nix mehr. Dieses Jahr lief es zum Glück viel besser und der Mensch ist in der Tat ziemlich zufrieden, wenn er oben ohne nennenswerte Ausfälle heil ankommt. Also stand ich wieder an der gleichen Stelle, an der ich letztes Jahr statt rechts lieber links abbiegen wollte, und war sehr motiviert.

Mit hoher Geschwindigkeit sausten wir in einer kleinen Gruppe Richtung Malterdingen runter und kamen entsprechend gut gelaunt in Wyhl bei Edeka an, wo schon eine Gruppe genüsslich an den extra für uns aufgestellten Bänken und Tischen ihren Vesper einnahm. In der Sonne war es warm, aber sobald sich Wolken dazwischen schoben wurde es empfindlich kühl und ich hatte das Gefühl, dass ich so schnell wie möglich zum Kaiserstuhl weiterfahren wollte.BRM200 2013

Es geht weiter Richtung Wyhl. Den steilen Anstieg vor Freiamt schafft dieses Mal auch Christina ohne größere Mühe: Das Trainingslager in der Toskana hat schon einiges gebracht. Uns bläst ein starker Südwestwind entgegen, und wir wechseln ständig in der Führungsarbeit ab. Ich ahne, dass sich dieser Wind uns bis nach Kandern in den Weg stellen wird. In Wyhl scheint die Sonne, und wir hocken erst einmal auf die bereitgestellten Bänke vor dem Lebensmittelladen. Der Standort ist sehr beliebt: es ist gemütlich, vor allem, wenn die Sonne scheint. Und man hat die Hälfte der Strecke hinter sich. Die aufgestellten Bänke signalisieren uns: wir sind hier willkommen!!

Wyhl – Kandern: Stürmische Zeiten

Die Region um den Kaiserstuhl herum gilt als eine der wärmsten Orte Deutschlands und so konnte ich mich diesmal auch wieder auf diese Behauptung verlassen.

Es ging zwischen Weinhügeln vorbei an kleinen, malerischen und verschlafenen Dörfern, die so typisch sind für diese Region. Da hier unser heimatliches Trainingsgebiet ist, kannten wir natürlich auch jene Abzweigung, auf die Urban und Walter am Morgen noch ausdrücklich hingewiesen haben. Diese Abzweigung befindet sich direkt hinter einer Kurve bei der Abfahrt durch einen Hohlweg. Chris und ich hatten Uwe während der gesamten Fahrt bereits über die Besonderheiten der Region aufgeklärt, er selbst ist in Heilbronn zuhause und war - glaube ich zumindest - noch nicht so oft im Breisgau unterwegs. Ich hoffe mal, dass wir ihn an diesem Tag nicht allzu sehr vollgetextet haben...

Durch die schönen Weinberge mit einem wunderbaren Blick auf die Vogesen ging es in einer rasanten Abfahrt hinunter nach Ihringen.

Dann wurde es kriminell... Nein, diesmal war kein Autofahrer beteiligt, obgleich es einige von ihnen an diesem Tag gab, die ziemlich eng an uns vorbeifuhren oder meinten, ihre Hupen an uns testen zu müssen. Da keine Veranlassung dazu bestand, deutete ich es als reine Provokation gegenüber uns Radfahrern.

Diesmal waren eher die Wettergötter besonders gemein und hinterhältig, in diesem Fall der Gott des Windes: Kaum waren wir aus Ihringen heraus, blies uns der Gegenwind in all seiner Kraft entgegen. Auf den Strecken zwischen den Ortschaften war der Wind besonders hartnäckig. Obwohl ich im Windschatten fuhr, kam ich bald an meine Grenzen. Es schien, als würde der Wind durch den Vordermann hindurch blasen, um jeden nachfolgenden Fahrer doppelt hart zu bestrafen. Wie konnten Uwe und Chris das bloß in diesem Tempo aushalten? Ich blieb trotzdem weiter dran, bis ich die ersten Anzeichen im inneren Oberschenkelmuskel bemerkte und wenige Sekunden später einen lauten Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken konnte.

Ein Krampf als Protest gegen diese unmenschliche Schinderei! Es folgte eine Zwangspause mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Kurze Zeit später dann eine weitere Rast, um den Sattel richtig einzustellen. Der Gegenwind und die falsche Sitzposition hatten mein System kurzfristig lahmgelegt. Danach ging es wieder besser und wir konnten diese zeitweise ziemlich eintönige Rheintalstrecke mit heftigem Gegenwind hinter uns lassen und uns auf den Anstieg nach Kandern vorbereiten. Wie bereits am Anfang erwähnt, kam mir dieser Streckenabschnitt diesmal viel kürzer vor, trotz des heftigen Gegenwindes. Die Jahre davor hatten wir entweder eine große Gruppe zur Unterstützung oder der Gegenwind trat erst zwischen Kandern und Staufen auf. Wann ist es schlimmer? Vermutlich auf dem Rückweg, wenn man eh schon ausgelaugt ist und aufpassen muss, vom Wind nicht nach hinten geblasen zu werden wenn man aufhört zu treten...

Chris verlangte am Anstieg vor Kandern nach einer kleinen Pause, die mittlerweile schon Tradition besitzt, da sie immer an der gleichen Stelle stattfindet. Für Uwe und mich war sie ebenso willkommen, zumal die angestrengten Gliedmaßen nach einer Streckung verlangten und ein kleiner Hunger gestillt werden wollte. Es war ja nicht mehr weit nach Kandern.

Unsere kleine Gruppe, an der wir einige Kilometer vorher aufgefahren waren und die dankbar die abwechselnde Führungsarbeit von Uwe und Chris angenommen hatte, zog an uns vorbei.

Mittlerweile war es gegen halb drei Uhr und in der Sonne ziemlich warm. Die Anstiege zogen sich zum Glück auch nicht so ewig hin, wie ich es noch in Erinnerung hatte und ich wollte einfach nur noch schnell zur dritten und damit letzten Kontrollstelle vor dem Ziel.

Dann machen wir uns auf den Weg nach Kandern. 40km mit strammem Gegenwind liegen vor uns! Zuerst streifen wir den Kaiserstuhl, dann liegt die Rheinebene vor uns, und wir sind dem Gegenwind schutzlos ausgesetzt. Zwei Randonneure kommen in Sicht. Wir fahren auf sie auf und nutzen erst einmal ihren Windschatten, später fahren dann Uwe und ich abwechselnd vorneweg, was dankbar angenommen wird. Der Wind zermürbt etwas, andererseits ist es ein schönes Gefühl, sich gemeinsam durchzukämpfen. Trotzdem sind alle erleichtert, als wir Richtung Kandern abbiegen. Kurz vor dem Anstieg nach Kandern muss ich eine kurze Pause machen: meine Muskulatur ist überlastet und ich habe das Gefühl, Krämpfe zu bekommen, wenn ich weiterfahre. Der lange Winter hat wenig Zeit fürs Training gelassen. Der Anstieg nach Kandern geht nach dieser kurzen Erholung recht gut.

Kandern – Kirchzarten: Randonneur im Schlepptau

BRM200 2013Vor dem Edeka-Markt waren nicht mehr so viele Fahrer zu sehen. Lag es vielleicht an den fehlenden Sitzbänken und Tischen, die schon sehr dazu verleiten, länger zu verweilen als nötig?

Wir holten uns etwas beim Bäcker und ich setzte mich mit Uwe auf einen Bordstein in die Sonne. Ich ließ meinen Blick etwas herumwandern und blieb dann plötzlich an einer Stelle 20m auf der anderen Seite hängen: Mirko! Ich schaute erneut hin, um sicher zu sein, dass er es auch wirklich ist. Ja, ich hatte richtig geschaut. Ich lief zu ihm hin und wollte natürlich sofort wissen was los sei. Er schien müde und etwas verloren. In einer Hand eine Tüte mit kleinen Salzbrezeln, in der anderen Hand seine Radflasche. Seinem Gesamteindruck nach zu urteilen, befand er sich schon länger in Kandern und so war es auch. Mirko hatte versucht mit der Spitzengruppe mitzuhalten und war immerhin mit der nächsten Gruppe in Wyhl angekommen. Dort musste er dann aber feststellen, dass er seine Absicht, um 16 Uhr wieder zuhause zu sein, begraben konnte. Alleine und mit dem unbarmherzigen Gegenwind als Gegner, schwand dann seine Kraft von Kilometer zu Kilometer. Dazu kam natürlich auch die psychische Komponente, die die meisten von uns nur allzu gut kennen. In solchen Momenten kommt der Hammer und man ist demoralisiert, zumal auch noch alleine unterwegs. Mirko hat sich dann irgendwie nach Kandern „geschleppt“ und dachte dort vermutlich seit geraumer Zeit darüber nach, ob er aufgeben oder in den nächsten Zug nach Freiburg steigen soll... BRM200 2013

Ich erinnerte mich spontan an meine Situation letztes Jahr, als ich hinter Allmendsberg ebenfalls abbrechen wollte und nur durch die aufmunternde Worte von Mirko, seinem Cousin Matthias und Chris weitergefahren bin und es so schließlich doch noch regulär nach Freiburg geschafft habe.

In diesem Fall war es also eindeutig, dass wir Mirko nicht alleine in Kandern zurücklassen und ihn genauso unterstützen würden. Ein „Nein“ von ihm akzeptierten wir nicht.

Hinzu kam, dass Mirko an diesem Tag, seiner Aussage nach, sehr viel Salz zu sich genommen hatte, obwohl es dazu keinen wirklichen Anlass gab. Zu dem hohen Salzkonsum hatte er vermutlich auch zu wenig getrunken. So nahm das Unheil seinen Lauf...

Auf dem Weg nach Staufen kamen uns ein paar mehr oder weniger steilere Anstiege in die Quere, die mit dem Wind im Rücken allerdings kein Problem darstellten.

Wie zu erwarten, hatte Mirko aber eben mit diesen Anstiegen etwas zu kämpfen. In der Ebene und den Abfahrten hingegen schien es, als wären seine Probleme vergessen.

So warteten wir halt an den Anstiegen auf ihn und ließen ihn bei den Abfahrten vorbei rauschen. Als Freiburg endlich näher kam, war auch die Stimmung und die körperliche und psychische Verfassung von Mirko deutlich auf dem Wege der Besserung und für mich bestätigte sich erneut, dass oft der Kopf der limitierende Faktor ist. Auf der anderen Seite hat sicherlich jeder seine (Grenz)Erfahrungen gemacht, in Hinblick auf die eigene Leistungsfähigkeit und der richtigen Einteilung bei so einer Tour.

Während auch ich langsam die ersten Ermüdungserscheinungen zur Kenntnis nahm, rauschten Uwe und Chris die letzten Hügel hoch, als hätten die vorangegangenen 180 Kilometer mit heftigem Gegenwind und quälenden Anstiegen nie existiert.

Uwe wäre vermutlich noch den Weg von Kirchzarten nach Heilbronn zurückgeradelt!

BRM200 2013Es ist in diesen Momenten umso schöner, wenn man in die heimatliche Region zurückkehrt und weiß, dass nur noch wenige Kilometer vor einem liegen. Es sind wohl auch diese kleinen, ominösen Dinger namens Endorphine, die einen alle Strapazen vergessen lassen. Man rollt einfach mit einem breiten Grinsen ins Ziel. So sah ich auch bei Mirko ein eindeutiges, zufriedenes und glückliches Lächeln auf dem Gesicht aufgrund der Tatsache, dass er eben doch nicht aufgegeben und sich trotz der Strapazen tapfer von Kilometer zu Kilometer gekämpft hatte. Für uns alle war es ein glücklicher Umstand und wir freuten uns an dem Tag wohl umso mehr für und mit Mirko.

In Kandern treffen wir auf Mirko. Er hat sich komplett verausgabt: Zu Beginn war er in der Spitzengruppe mitgefahren und hatte irgendwann den Anschluss verloren. Der stramme Gegenwind im Rheintal hatte ihm dann den Rest gegeben, zumal er dort alleine unterwegs war. Wir nehmen ihn mit zurück nach Freiburg. Jetzt haben wir Rückenwind, was die Sache deutlich erleichtert. Kurz nach 18 Uhr kommen wir in Kirchzarten an.

Epilog: Es gibt kein Bier auf Hawaii, oder: kein Andechser in Kirchzarten

Es war schön, in jeder Hinsicht! Vielen Dank wieder an die beiden Organisatoren Urban und Walter, die das Unmögliche mal wieder möglich gemacht haben und all denen, die dabei hilfreich zur Seite standen (wie auch den netten Leuten an den Kontrollstationen).

Danke auch an Uwe, der oft wie eine unermüdliche Diesellok die Gruppe anführte und dabei gleichzeitig immer ein Auge auf seine „Schäfchen“ hielt, damit niemand den Anschluss verliert.

Im Ziel kommt, wie immer, Euphorie auf: wir haben es mal wieder geschafft. Das ist bei einem „kurzen“ 200er nicht anders als bei den langen Brevets; allerdings ist man nach dem 200er zwar etwas erschöpft, aber nicht übermüdet, und kann sich deshalb doch mehr über das erreichte Ziel freuen. Es war ein schöner Tag!

BRM200 2013BRM200 2013

Bis zum nächsten Mal!

Christina und Chris

P.S von Chris.: beim 300er schreib ich mehr als Christina!!