Belchen satt oder: Wenn der Hund net gschissen hätt ...

Autor
Hans-Peter Stümpfl
Datum
30.06.2014

Früher bin ich gerne die RTF’s und Marathons (Arber, Dinkelscherben, Erdinger, Lupburger) gefahren. Dann hat mich eine Bekannte, die E. H. auf die Randonneurs-Szene aufmerksam gemacht. Besonders die Brevets beim K. W. (knallharter Sehr-viel-Fahrer). Da kann ich von daheim hin radeln, mich in der alten Schule auf ein Feldbett legen, am nächsten Tag fahren und dann wieder im Schlafsack pennen. So auch heuer, beim 2, 3, 4 und 6-Hunderter. Beim letzterem habe ich es nicht mehr in der Zeit geschafft. Glatt 6 Stunden langsamer, wie zwei Jahre davor! Na ja, kein Training mehr, wegen dem Schachspielen im Verein, die Kälte, der Regen, die Sportbrille, die immer gleich auf allen 4 Oberflächen (wegen der Korrekturgläser) versifft war, die nur 4 Riegel, mittendrinn Aussetzer beim GPS und noch so n paar Ausreden. Die Wahrheit ist, ich hatte zu wenig PS.

Vor etlichen Monaten habe ich vom Belchen satt gehört. Schauinsland, Weissenstein, Chasseral, Mont Solleil, Ballon Servance, -Alsace, Col du Page, Grand, Petit Ballon, alles klangvolle Namen. Mir war klar, das musst du sehen. Ein Blick in den Kalender: Der 18.06.14 so gegen Abend schien als Starttermin ideal.

Urban angerufen. Der hat mir nicht gerade Mut gemacht. Dass es auf den ersten 240 km so aussieht, als würden die Kilometer nie vergehen, er selbst hätte da schon mal soundso lange gebraucht, aber um Lure rum, da könnte man wieder was aufholen. Gut. Nur, wenn ich sehe, dass die Zeit von Eisenwade beim 6-Hunderter vom K. W. um etliches besser war, als meine, relativiert sich alles. Und mein Trecking-Rad mit Scheibenbremsen, Ständer, Packtasche und permanent laufendem Radnabendynamolicht, ist zwar ordentlich schwer und stabil, aber vielleicht nicht die optimale Randonneuse. Möglicherweise sollte ich mich nach einer echten Randonneuse mit Scheibenbremsen und Rennlenker, wegen der dauernd und lang anhaltend eingeschlafenen Finger, umsehen? Aber was soll‘s. Wenn es mit den 54 Stunden wahrscheinlich nicht hinhaut, macht es auch nichts. PBP fahre ich eh nicht. Also muss ich mich dafür auch nicht homologisieren.

Diesmal habe ich 10 Tütchen Moltodextrin19 a 60 Gramm Brennstoff (mit je ca. 1 g Salz + Magnesiumzitrat) gebunkert, damit ich immer was ins Trinkwasser kippen kann und mir nicht dauernd was kaufen muss. Und 4 Riegel (Snickers und Xenofitt). Wäscheklammern am Bremsseil festgemacht, für das Road-Book, grün an Steuerbooad, rot an Backbooad, wie sich das gehört. Höhenprofil ein-laminiert, an den Lenker geklebt. Kette nicht mehr geschmiert, Reifen nicht mehr nachgepumpt. Steuerkopflager? Hätte schon längst ausgetauscht werden müssen. Ruckelt etwas. Egal. 600 wird’s wohl noch halten. In aller Frühe des 18ten zum Bahnhof geradelt, nach Freiburg gefahren, gemerkt, dass ich meine Trinkflaschen zuhause vergessen habe, aus dem Zug gefallen, Ersatzflasche (blöderweise nur eine, wegen meines manischen Geizes) gekauft und los ging‘s.

Generell fiel mir immer wieder auf: Unten ist es sehr viel wärmer als oben (was bei einem trockenadiabatischen Temperaturgradienten von ca. -1K zu erwarten ist). Oben ist es u. U. Zugig. Bei den schier endlosen, steilen Abstiegen wird man tüchtig kalt geblasen. Die Regenjacke als Wind- Stopper sollte man immer an/ausziehen. Bergab sind die Bremsen so gefordert, wie nie. Ich werde jedenfalls nie mehr ohne meine effektiven Scheibenbremsen fahren.

Mein Angstgegner war der Weissenstein mit seinen steilen Flanken rauf und runter. Komischerweise war der gar nicht mal so anstrengend. Mit 3fach und Rentnerritzeln konnte ich den fast ganz fahren. Im Gegensatz zum letzten Viertel der Tour, wo mich schon geringe Steigungen zum Schiebebetrieb gezwungen haben. Belchen satt 2014Den Chasseral rauf ging‘s dann doch nicht mehr ganz so flott. Und der „sonnigeBerg“ danach, der hat‘s mir angetan. Danach war mir klar, die 54 Stunden wirst wohl verbraten. Noch dazu, wo du noch irgendwann ne Schlafpause auch bräuchtest. Zurück zum Weissenstein: In der Tat, wenn man diese Phasen des freien Falles nicht gesehen hätte, man würde es nicht glauben, dass es sowas gibt. Dann kam mal so ein komisches Laufgeräusch vom Hinterrad. Angelupft und auf Drehzahl gebracht. Die hat sich zügig vermindert. Auch gut. Ging primär eh nicht auf Zeit und ein paar Stunden später war’s wieder nahezu komplett weg. Wird wohl ein Steinchen auf dem Bremsbelag gewesen sein.

Auf der Abfahrt schien dann die Sonne warm in den Hang, da dachte ich, wenn jetzt ne Ruhebank käme... Prompt kam ne Bank. Brems. Bank. Penn. Nach etlichen Stunden hat mich ein Franzose geweckt. Belchen satt 2014Ob denn alles mit mir in Ordnung wäre. Eh klar. Aber mit der Zeit war‘s wohl endgültig vorbei. Bevor das Ganze in eine Plackerei ausgeartet wäre, die ich sowieso verloren hätte, habe ich mich einfach dazu entschlossen, als Tourist weiter zu fahren. Raus war der Druck. Und um Lure herum konnte man es dann echt gut rollen lassen.

Dort habe ich eine Lagerhalle gesehen, deren Wände noch etwas Restwärme abgestrahlt haben. Kurzerhand habe ich mich ran gekauert, um ne Stunde zu dösen. Da kam auch schon die Polizei. Drei drahtige Burschen haben mich eingekreist. Ein verdächtiges Subjekt (ich) würde sich da wohl zu schaffen machen. Gut. Nach kurzer Zeit war der Sachverhalt geklärt.

Einzig der Servance hatte noch mal ne wirklich steile Flanke, aber dann war‘s (theoretisch) geschafft. Theoretisch deshalb, weil ich mich den Grand Ballon richtig raufquälen musste. Nach der Abfahrt hatte ich schon lange kein Wasser mehr und die Power war weg. Erst suchte ich einen Brunnen in einer Ortschaft und fand keinen. Genau. Belchen satt 2014In Frankreich hat es überall öffentliche Brunnen mit bestem Trinkwasser, an denen ich mich oft bedient habe. Dann legte ich mich auf einen Ziegelsteinboden, deckte mich mit der Rettungsfolie zu, empfand die Situation als recht angenehm –bis auf den harten Boden, also wieso gibt’s da Leute, die harte Betten mögen? – und schlief ein. Viel länger, als geplant und nötig. Weil ich meinen Kurzzeitwecker nicht gestellt hatte. Nun, ich hatte ja nicht mehr weit. Nur noch zwei Ballons der etwas harmloseren Sorte und dann noch das Rheintal zum lockeren ausradeln. Locker? Von wegen, Gegenwind hatte ich.

Aber die Energiebereitstellung. Die war von da an doch recht unbefriedigend. Das Malto im Trinkwasser hat wohl die Fettverbrennung mobilisiert, aber die hat keine ausreichende Kraft geliefert. Auch die an sich hervorragende Übersetzung hat in der Endphase nicht mehr viel gebracht, da die fahrbare Geschwindigkeit immer mehr der Umfallgrenze nahe kam.

In Freiburg angekommen, war‘s so spät, dass ich erst mal auf einer Bank am Bahnsteig, im Würfel gedusselt habe und am nächsten Morgen mit dem Zug zurückgefahren bin. Wegen der unsinnigen Schlafpause während der Tour hielt sich die Müdigkeit in Grenzen. Wegen meiner Fahrweise hatte ich auch nicht mit Krämpfen oder Muskelkater zu tun. Nur die Zeit war mit 55 h Fahr- und 15 h Ruhezeit recht lang. (Die Zeiten sind GPS-Werte. Also zeigt GPS teilweise noch eine geringe Bewegung an, auch wenn man schon steht).

Schwer enttäuscht hat mich mein Gummistiefel-Handy. Auf dem Display war am Tag nichts zu sehen, die Auslösung war nie richtig erkennbar, die sogenannten Blitzaufnahmen waren allesamt (hoffentlich nicht ganz) unbrauchbar und der Akku war mit der letzten Aufnahme vom Martinstor leer. Na ja, die neueren Gadgets dieser Marke sollen deutlich mehr bringen. Hoffentlich kann W. J. noch genug reininterpretieren, sonst war‘s sogar mit der Homologation als Tourist nichts.

Viele Erkenntnisse habe ich gewonnen.

  • Eine Fahrweise ist optimal, bei der reichliche Reserven vorhanden sind.
  • Wasserflaschen sollte man mehr als eine dabei haben.
  • Eine leistungsfähige, wasserdichte Kamera muss her.
  • Malto in Tütchen mitgenommen, hat sich bewährt, als alleiniger Brennstoff reicht’s nicht.
  • Zufuttern sollte man tunlichst. Fettverbrennung hin oder her, die alleine bringt ev. nicht genug.
  • Pausen, länger als 1 bis 1,5 h sind imo kontraproduktiv.
  • Diese, oder eine vergleichbare Tour, empfehle ich für mich, in der Touristenwertung zu fahren, da man sonst die ganzen landschaftlichen Schönheiten nicht ausreichend genießen kann.
  • Der Start in die Nacht hinein, kostet praktisch ne halbe. Normal hätte man bis zur ersten Nacht schon viele Kilometer Vorlauf.


Was würde ich nächstes Mal besser machen?

  • Anreise am Vortag. Campingplatz. Start früh am Morgen.
  • Ordentliche Verpflegungspausen einlegen.
  • Diszipliniertere Ruhepausen machen.

Nun die Kosten (mit Bahncard 25):

  • Fahrkarte hin/rück mit Radkarte, 2 x 45 Euro
  • Trinkflasche (leicht vermeidbare Ausgabe) 8 Euro
  • Vier Riegel (Snickers, Xenofitt) vllcht 3 Euro ?
  • Malto (eine Dose mit 750 g Malto19) ca. 12 Euro
  • Zwei REWE-Magnesiumtabletten, eine Tablette Frubiase, ? Euro

Zusammen etwa 113 Euro.

Belchen satt 2014Bei entsprechendem Training und wenn ich oben genannte Fehler vermieden hätte, hätte ich womöglich 44 Stunden Netto herausgeholt, bei einer Pausenzeit von 8 bis 10 Stunden. Aber so ---. Mal hin, radeln, zurück, so wie ich es sonst gerne mache, ist hier einfach suboptimal. Und mehrere Pfunde muss ich jetzt wieder an Masse aufbauen (Wägung nach Tagen).

Andererseits, die gesamte Landschaft, die Belchen, die Schluchten des Zweiflers und der Blick auf selbigen, der Blick von Amarin in Richtung Grand Ballon, etc., das alles war sowas von wunderbar, gigantisch, unvergesslich! So als würde man drei Jahresurlaube auf wenige Tage konzentrieren. Meinen (derzeit 5) Enkeln habe ich auch was zu erzählen. Und ganz wichtig: Mein gesamtes Lebenswertgefühl hat sich dadurch gesteigert. Überhaupt, wie schon im 1999’er James Bond richtig erkannt: Wenn Du nicht fühlst, dass Du lebst, ist das Leben sinnlos.

Persönliches Schlusswort: K. W. sagte: „Der Belchen hat’s wirklich in sich. Stell dich mal darauf ein, die Randonneurswertung nicht zu schaffen.“ Richtig.